Viele Veränderungen hatte die Zeit mit sich gebracht, aber das Interesse der Mehrstetter Albvereinler für alles, was in der Welt so passiert, die Neugier auf ihre heimatliche Umgebung, aber auch für vieles Fremde war immer noch wie in den Anfangsjahren des Vereins. Viele Vorträge brachten Beachtenswertes aus der Umgebung, aber auch Eindrücke aus ferneren Gegenden zu Gehör, vermittelten aber auch in Bild und Film Landschaften und Menschen mit ihrer Lebensweise, ihren Sitten und Gebräuchen zu den Zuhörern und Zuschauern. Einer der Referenten, der sowohl kulturgeschichtlich als auch naturwissenschaftlich aus einem beinahe unerschöpflichen Reservoir an Wissen in anschaulicher Weise zu berichten wusste, war Dr. Christian Eberhardt. Leider verstarb dieser Ur- Mehrstetter Wissenschaftler im Jahr 1999. Andere traten an seine Stelle. Viele Vorträge, die einen festen Platz im Jahreskalender der Ortsgruppe Mehrstetten haben, über die Klettersteige in den Dolomiten, über das Leben und Arbeiten in China, über Besteigungen von Bergen in Afrika oder über Ritte durch die Sahara und vieles mehr lockte die Besucher in den Gemeindesaal. Die Wanderpläne der Ortsgruppe machen jedes Jahr immer wieder Angebote an alle, an Mitglieder und gerne auch an Nichtmitglieder. Dabei richtet sich das Augenmerk auch immer mehr und mehr auf Familien, die mit ihren Kindern sich beim Albverein wohlfühlen sollen und können, droht doch sonst dem Albverein ganz langsam eine Überalterung. Gemeinsame Waldweihnachtsfeiern, Ostereierwanderungen, und vieles mehr, Wochenendwanderungen mit Übernachtung für Eltern und Kinder, Fahrradsuchfahrten für Familien oder ähnliche Gruppen, Drachenfeste – nichts ist den Organisatorinnen und Organisatoren zu viel. Ein Wendepunkt im Vereinsleben war das Jahr 2009. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, drohte der Ortsgruppe das Aus. Keiner aus dem Vorstand war bereit, die Leitung der Ortsgruppe zu übernehmen. Dabei hatte der Albverein doch immerhin fast 300 Mitglieder, war nicht unbedingt überaltert, das Veranstaltungsprogramm konnte reibungslos durchgeführt werden und die Finanzen waren in geordneten Verhältnissen. Die Generalversammlung war über einen längeren Zeitraum ins Stocken geraten, bis nach intensiven und beinahe dramatischen Einzelgesprächen eine Lösung gefunden wurde. Ein Vierergremium aus erfahrenen und aus jungen Albvereinlern wollte für die nächste Wahlperiode antreten und den Verein aus dieser Krise führen. Gerhard Mayer, Ernst Mak, Gerda Lange und Manuela Feil stellten sich dieser Herausforderung.
Im selben Jahr verstarb auch der Ehrenvertrauensmann Hermann Schmauder, der wie kein anderer für den Albverein und seine Ortsgruppe Mehrstetten gebrannt hatte. Die Vorstandslösung mit 4 Frauen und Männern hatte nicht lange Bestand. Berufliche und gesundheitliche Umstände führten zu einem Schrumpfen dieser Vorstandsriege. Im Jahr 2013 übernahmen nun Ernst Mak als Vertrauensmann und
Liesel Hummel als seine Stellvertreterin das Ruder in der Ortsgruppe Mehrstetten.
Bei seiner letzten Ansprache als Vertrauensmann der Ortsgruppe sprach Ernst Mak
von einem „Rucksack, den er mit diesem Amt übernommen und aufgesetzt habe, den er jetzt mit Erleichterung ablegen und weitergeben könne.“
Mit der Generalversammlung 2017 übernahm Liesel Hummel diesen „Rucksack“.
VM Ernst Mak Foto: Ernst Mak
Vertrauensfrau Liesel Hummel Foto: Eigenfoto
Seine Amtszeit als Vertrauensmann krönte Ernst Mak mit einem Unternehmen, das ihm sehr am Herzen lag: dem Bau des Wetterunterstandes für Wanderer und Radfahrer im Schandental unterstützt von allen verantwortlichen Seiten, dem Albverein, der Gemeinde, dem Naturschutz.
Trachtengruppe des AV Mehrstetten beim Schäferlauf in Bad Urach: Einmarsch in der Zittelstatt
Viele neue Aktivitäten hat der Albverein in den letzten Jahren neben den schon selbstverständlichen in sein Programm aufgenommen. Dazu gehören besonders die Fahrradrallye, die immer beliebter wurde und die vor allem Familien mit Kindern anspricht, die Powerwanderung für sehr sportliche Wanderer, das Gesundheitswandern für Körper- und Gesundheitsbewusste – und ganz im Verborgenen gibt es eine „Geheimtruppe“, die sich um Reinhold Mayer gebildet hat. Sie wandert Jahr für Jahr mehrere Tage lang zu den Hauptversammlungen, oft über 120 bis 140 km weit. Radwanderungen gehören schon lange zum Programm, ebenso die Teilnahme an größeren Veranstaltungen mit der Trachtengruppe, zum Beispiel an den Heimattagen Baden- Württemberg oder dem Schäferlauf in Bad Urach.
100 Jahre alt ist die Ortsgruppe Mehrstetten im Schwäbischen Albverein im Jahr 2020 geworden und konnte dieses bemerkenswerte Jubiläum wegen eines urplötzlich aufgetretenen Virus, der die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzt hat, nicht gebührend feiern.
Man konnte nicht daran erinnern, was seit den Männern und Frauen der ersten Stunde von Albvereinlern und Albvereinlerinnen in der Gemeinde und für die Gemeinde, aber auch für die gesamte Gesellschaft geleistet worden ist. Es ging nicht nur um die Pflege des Volks- und Brauchtums und die Liebe zur Heimat. Wer die Arbeit des Schwäbischen Albvereins auf diese, allerdings fundamentalen Dinge, reduziert, wird der Leistung dieser Vereinigung nicht gerecht. Man kann nicht die Volkstanzdarbietungen der Jugendgruppen oder Erwachsenengruppen als „Germanen- schwof“ abtun, aber im Urlaub in fernen Ländern Folkloredarbietungen bejubeln. Wie selbstverständlich singen, musizieren und tanzen in irischen Pubs Einheimische und Gäste zusammen ihre traditionellen Lieder und Tänze. Wie steht es damit in Deutschland? Wir haben es mit dem Freitagstreff, wo singen und musizieren an erster Stelle steht, oft erlebt: Viele Gäste in den Wirtschaften haben sich dazugesellt und mitgesungen, in anderen wiederum wurde – um mit Wilhelm Busch zu sprechen- „Musik und Gesang als störend oft empfunden, da sie mit Geräusch verbunden!“
Wie viele km Wanderwege wurden vom Albverein angelegt und über ein Jahrhundert gepflegt und beschildert? Wie viele Stunden haben die Wegwarte mit Farbe und Pinsel und Hammer und Nägeln bewaffnet damit zugebracht, abgerissene Wegbezeichnungen wieder anzubringen oder andere nachzumalen? Wie viele Stunden haben Albvereinler auf Wachholderheiden oder in Naturschutzgebieten wie den Sandlöchern oder an der Rauen Hüle geschuftet, um Natur und Landschaft oder seltene Blumen zu erhalten?
Wie weit sind Wanderführer und vor allem auch Gebirgswanderführer gefahren und marschiert, um für andere Wanderungen vorzubereiten, Quartiere zu erkunden, Gaststätten ausfindig zu machen, die bereit waren, Gruppen aufzunehmen?
Wie viele Wochenenden haben die Naturschutzwarte – auch in fremden Gefilden – damit zugebracht, Märzenbecher, Orchideen wie den Frauenschuh oder den zinnoberroten Kelchbecherling zu beschützen davor, ausgegraben oder ausgerissen zu werden?
Wie viele Stunden haben Referenten an ihren Vorträgen gearbeitet, Bildmaterial zusammengestellt und Texte erarbeitet?
Ganz zu schweigen von den vielen Stunden der stillen Helfer im Hintergrund die bei Veranstaltungen und Festen Kuchen backen, Würste braten oder als Bedienungen die Besucher versorgen und denen, die die Organisation zu stemmen haben!
Allen, besonders auch den Männern und Frauen der ersten und wichtigsten Stunden, ob 1920 oder 1947 nach dem Krieg, allen die heute Verantwortung tragen, soll hiermit ein großes Danke schön gesagt sein!
Gründungs-VM 1920 Karl Reutter Bild Familie
Wiedergründungs-VM Ludwig Eberhardt, Rottenf.
mit Frau Bild: Familie
Bleibt zum Schluss dieser Betrachtung der letzten 100 Jahre nur, allen zu danken, die den Albverein in Mehrstetten durch die nicht immer einfachen Zeiten geführt und begleitet haben, in Ämtern oder als Mitglieder, aktiv und passiv, verbunden mit der Bitte, die Arbeit dieser Ortsgruppe auch weiterhin zu unterstützen und zu begleiten.
War das jetzt schon alles?
Als einem, der nun nahezu 60 Jahre diesem Verein angehört und seit seinem ersten Tag in diesem Verein mehr oder weniger aktiv am Leben dieses Vereins teilgenommen hat, sei es erlaubt, einige Anmerkungen zur Vergangenheit und vielleicht auch zur Zukunft des Schwäbischen Albvereins auch allgemein zu machen.
In vielem kann man sicherlich auch sich mit der Ortsgruppe Mehrstetten wiederfinden.
Glaubt man den Berichten in den Medien, so ist das Wandern heute so beliebt wie schon seit Jahren nicht mehr. Warum sinken dann die Mitgliederzahlen in dem klassischen Wanderverein Schwäbischer Albverein seit Jahren? Warum wird der Albverein von der Politik höchstens als Randerscheinung wahrgenommen, obwohl dieser Verein seit Jahrzehnten sich in Sachen Umwelt und Klima engagiert? Warum lässt sich der Albverein (und nicht nur der) in Sachen Wandern das Heft zum Beispiel von Tourismusverbänden mehr und mehr aus der Hand nehmen, obwohl er seit seiner Gründung mehr in die Anlage und Pflege der Wanderwege und der Natur insgesamt investiert hat als jede andere ehrenamtlich geführte Institution überhaupt?
Es drängt sich die Frage auf, ob Namen wie „Nordrandweg“ und andere nicht sexy genug sind. Es muss dann schon ein Premiumwanderweg sein, auf dem der Wanderer mindestens von einem „Guide“ geleitet wird. Wanderführer genügt nicht mehr. Unsere tollen Wanderwege klingen natürlich gleich ganz anders, wenn sie in die „Hochgehberge“ führen und „Hochgehhütet“ oder „Hochgehpilgert“, “Hochgeh- sprudelt“ und „Hochgehkeltert“ heißen. In einer Veröffentlichung der Organisatoren
in der Südwestpresse vom 05. August 2021 heißt es: „Unter dem Motto: hochgehen um wieder runterzukommen sollen Gäste zum Entspannen und Erholen in beeindruckender Landschaft eingeladen werden.“ Na ja, das war beim Wandern ja immer so….
Aber natürlich muss der Albverein sich auch jetzt wieder an veränderte Bedingungen in seiner Umwelt anpassen. Vielleicht ist es auch wichtig, einen kritischen Blick auf eigene Positionen zu werfen.
1920 hatte man bestenfalls die nahe Eisenbahn mit dem „Hauptbahnhof“ im Heutal zur Verfügung, später dann Fahrräder und Motorrad. Heute fährt man wie selbst- verständlich mit dem eigenen Auto bzw. mit dem Omnibus. Bestimmte Wanderungen macht man lieber nur mit der Familie oder einer kleinen Gruppe. Schon unser alter Wanderfreund Karl Ziegler meinte, man müsse nicht immer mit einer ganzen Herde durch die Natur trampeln.
Wir verbrauchen für unsere Touren also auch jede Menge kostbarer Energie. Wie stehen wir zu den erneuerbaren Energien und ihrer Gewinnung?
Andere Naturliebhaber wollen auch hinaus! Auch für sie stehen Wanderwege zur Verfügung (die oft auch von Gemeinden oder dem Forst angelegt wurden ).
In jeder vernünftigen Gesellschaft müssen sich alle Interessierten, Wanderer, Sportler, Landwirte und viele mehr über ihre Interessen austauschen und gemein- same Lösungen finden ohne sich gegenseitig das Leben schwer zu machen.
Diese Anmerkungen wollen Sie bitte alle einem erlauben, der sich jetzt über ein Jahr mit 100 Jahren Albverein in Mehrstetten auseinandergesetzt hat.
Walter Preising