100 Jahre OG Mehrstetten Teil 6

Bewegte Zeiten in der AV – Ortsgruppe Mehrstetten

In den ersten Jahren nach dem Wiederbeginn 1947 tat sich die Ortsgruppe zunächst schwer, einen Weg zu finden, der sowohl den alten und tradierten Zielen der Albvereinler als auch den neuen Ideen vor allem der Jungen und der Jugendlichen gerecht wurde. Eine gewisse Unruhe im Verein lässt sich auch an den häufigen Wechseln in der Vereinsführung ablesen. So wie das ganze Volk nach den Schrecken und Traumata des Krieges sich neu orientieren musste, so geschah das auch im Kleinen, im Verein. Dass man sich da nicht immer einig war, war nur zu verständlich.

1949 wurde bei der Hauptversammlung Gerhard Schaude zum Vertrauensmann gewählt, Stellvertreter wurde Hans Kölle sen. .Bei einer Ausschusssitzung wurde die Gründung einer Jugendgruppe beschlossen, und bei einer schriftlichen Nachwahl wurden die Vertrauensmannstellen getauscht; Hans Kölle war jetzt Vertrauensmann und Gerhard Schaude sein Stellvertreter. Kurz darauf wurde der Jungalbverein Mehrstetten gegründet. Sein Vorsitzender wurde nun Gerhard Schaude. Das Konstrukt der Vereinsführung sah nun einen Ortsgruppenausschuss mit Teilen der alten Vereinsführung  und dem neuen Ausschuss des Jung AV vor, wobei beide Gruppierungen jeweils für ihre Bereiche selbständige Beschlüsse fassen konnten. Die unterschiedlichen Auffassungen führten letzten Endes dazu, dass der Jungalbverein zusammen mit der Skiabteilung sich eine eigene Satzung gaben, Schriftführer Karl Ziegler wurde durch Hans Kölle jun. abgelöst. Verbindungsmann zwischen Jung AV mit Skiabteillung und der Ortsgruppe blieb Karl Ziegler.

Mittlerweile hatte sich auch der Hauptverein (sprich die Führung des Gesamtvereins  in Stuttgart) eingeschaltet. Die Sondersatzung des Jung AV musste geändert werden, der Skiwart wurde zugunsten eines Wanderwartes gestrichen.

Allerdings hatte der Jungalbverein Bewegung in das Vereinsleben gebracht. Regel- mäßige Singabende in den Mehrstetter Gaststätten immer an den Samstagabenden erfreuten sich großer Beliebtheit, und mit ihren Gesangsbeiträgen gefielen die Jungen oft bei Vereinsabenden und Familienabenden.

Ein großer Erfolg für die Skiabteilung waren auch die Bezirksmeisterschaften im Skilanglauf, bei denen vor allem Georg Reutter und Karl Ziegler durch ihre Siege dem Skisport Auftrieb gaben.

Das Jahr 1952 brachte dann mit der Gründung des Wintersportvereins Mehrstetten (WSV) eine voraussehbare Trennung zwischen Albverein und den Wintersportlern, die allerdings in überaus freundschaftlicher und kameradschaftlicher Weise vor sich ging. So kann man den Protokollen des Albvereins entnehmen, dass der neu gegründete WSV für jedes Albvereinsmitglied in seinen Reihen aus der Kasse des Albvereins 1 DM bekommen solle (Beschluss vom 11.März 1952). Wie lange das beibehalten wurde, ließ sich nicht ausfindig machen. Aber man lud sich immer gegenseitig zu den Versammlungen und Vereinsabenden ein – und man half sich!                                     Als am 19.12.1952 bei der Generalversammlung im Hirsch Vorschläge für den Wanderplan im neuen Jahr aufgerufen wurden, kam von den WSV-Mitgliedern der Vorschlag, anstatt einer Wanderung am 1. Mai beim Bau der neuen Albschanze im Böttental zu helfen. Neuer Vertrauensmann der Ortsgruppe war übrigens seit 1951 Hauptlehrer Ernst Ostertag, und unter seiner Leitung stimmte die Versammlung diesem Vorschlag begeistert zu. Beigetragen dazu hatte sicherlich auch die Zusage der örtlichen Gastwirte und des Küfers,  die Arbeiterinnen und Arbeiter mit reichlich Getränken zu versorgen, worauf sich andere Geschäftsleute nicht lumpen ließen. Sie versprachen Zigaretten, Bonbons und Schokoladen, die Bäckermeisterin Brot und Brezeln und der Metzger die notwendigen Wurstwaren. Und Karl Katzmaier wollte die Arbeitenden mit dem Traktor und seinem Wagen abholen.                                         Kurz gesagt: Bei herrlichem Maiwetter wurde der Arbeitseinsatz ein voller Erfolg und vor allem die zugesagte Verpflegung und vor allem der Genuss derselben ein High- light für alle Dabeigewesenen. Der Schriftführer Christian Mak schildert das hingebungsvoll und gerät besonders bei der Beschreibung des Genusses von Friseur Zieglers „Rathaus – Riesling“ ins Schwärmen.                                                                                    Gemeinsames Arbeiten, gemeinsames Singen, gemeinsames Beisammensein war für viele etwas Erstrebenswertes. Vor allem auch dann, wenn in den eigenen Reihen Liederkomponisten und –dichter dabei waren wie vor allem Karl Ziegler und auch dessen Bruder Willi Ziegler, den aber mehr aus der Ferne die Sehnsucht nach der Alb umtrieb. Lieder wie das „WSV – Lied“, das beim Wintersportverein noch heute bei vielen Anlässen gesungen wird, oder das Skifahrer Zunftlied „Die Mehrstetter haben eine saubere Zunft“, aber auch die Bergsteigerlieder „Auf hoher Warte wir uns finden, Bergsteiger von der Schwabenalb“, das „Bärental – Lied“, aber auch das heimatverbundene „d´Alb, dui liab i“ stammen aus ihrer Feder und sind es wert, gepflegt zu werden.

Alblied von Willi Ziegler  (aus den 50er Jahren)

Wie groß besonders auch die Liebe und die Sehnsucht dieser ersten Bergsteigergeneration in Mehrstetten war, mag auch die folgende Anekdote erklären:

Eines Tages packte einige der Mehrstetter Bergfexe die Sehnsucht nach den Bergen, und so fasste man den Plan, einige Tage daran zu rücken und nach Oberstdorf aufzubrechen. Aber mit der Bahn zu fahren, war wohl nicht sportlich genug und kostete überdies auch Geld. Motorisiert war man nicht, also blieb das Fahrrad.

Gesagt, getan – man brach mit den Rädern auf. Räder, Fahrradmäntel und ebenso Schläuche waren ein rares  Gut, die Straßen schlecht, dafür wenig Verkehr. Rucksack und Zelt wurde aufgeladen, und so ging es los – natürlich ohne Gangschaltung, die es nicht gab.

Nun muss man wissen, dass Fahrräder auch damals ein sehr beliebtes Diebesgut war , und diebische Zeitgenossen so kurz nach dem Krieg gab es überall. Da war – in Oberstdorf angekommen – guter Rat teuer: Wohin mit den Rädern? Man wollte und musste unbedingt auf das Nebelhorn und einmal mit der damals gerade 20 Jahre alten Kabinenbahn fahren. Blieb nur eines: Die Räder mussten mit.

So fuhr man mit den Rädern bis zur Bergstation. Aber von hier bis zum Gipfel gab es keinen Radtransport!

Heute wäre es nichts Besonderes, fahrradschleppende Sportler im Gebirge zu sehen. Allerdings mit superleichten Karbonrahmen und nicht mit gewichtigen Velos, dazu bepackt mit Rucksäcken und Zeltbahnen.

Aber es half nichts: die Räder samt Gepäck mussten mit hinauf zur Gipfelhütte. Lieber schwitzen als nachher ohne Rad dastehen, war die Devise.

So waren die Mehrstetter Gebirgskraxler wohl einige der ersten, die das Nebelhorn mit dem Fahrrad bezwangen.

Fortsetzung folgt

100 Jahre OG Mehrstetten Teil 5

Neuanfang nach dem Krieg

Nach dem verlorenen Krieg lag alles darnieder. Alle mussten schauen, wie man mit dem Leben zurechtkommen konnte.                                                                           Auch in Mehrstetten waren viele nicht mehr aus dem Krieg heimgekehrt: gefallen, vermisst, in Gefangenschaft. Für die Daheimgebliebenen war vieles wichtiger als Vereinsarbeit.                                                                                                                Und dennoch waren die Ideen und Erinnerungen da oder wurden wachgerufen, so zum Beispiel als zwei Urgesteine des Mehrstetter Albvereins wegstarben.                            Als erster starb 1946 der langjährige Vertrauensmann, Metzgermeister Karl Reutter, der seit der Gründung 1920  bis zu seinem Tod 26 Jahre lang die Geschicke des Vereins geleitet hatte. Ihm folgte mit seinem Tod 1947 der langjährige Schriftführer Fritz Eberhardt.

Mit einem kurzen Eintrag im Protokollbuch wird ihrer in Ehren gedacht.

Besonders Vertrauensmann Karl Reutter wurde schmerzlich vermisst. Auch in schwieriger Zeit hatte er den Verein zusammen gehalten, hatte Veranstaltungen organisiert und nicht selten tagte der Ausschuss in seinem Wohnzimmer, sicher nicht zum Nachteil der Auschussmitglieder, die den Einladungen des Metzgermeisters gerne folgten.

Mittlerweile schrieb man das Jahr 1947. Die französische Militärregierung wachte streng über die Umtriebe in den Gemeinden, und ohne ihre Genehmigung ging nicht viel.                                                                                                                                      Da schlug nun die Stunde eines weiteren Urgesteins des Mehrstetter Albvereins. Ludwig Eberhardt, der voller Stolz immer mit seinem Beruf „Rottenführer“ (um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: bei der Eisenbahn) unterschrieb, gab keine Ruhe. Seine Liebe gehörte dem Verein, und er machte sich unermüdlich daran, die alten Kameraden wieder zu aktivieren und die Behörden davon zu über- zeugen, dass die gute Sache des Albvereins es wert sei, eine Genehmigung zur Neugründung zu erhalten.

Mit der Genehmigung der französischen Militärregierung war es am 22. Juli 1947 so weit. Ludwig Eberhardt konnte auf 3 Uhr nachmittags zur Neugründungsversammlung in das Gasthaus zum Hirsch einladen. Zehn Mitglieder waren der Einladung gefolgt und wählten den ersten Ausschuss der neu erstandenen Ortsgruppe.

Vertrauensmann wurde Ludwig Eberhardt, Rottenführer. Ihm wurde auch das Amt des Kassenwarts anvertraut. Sein Stellvertreter wurde Eugen Breitinger. Zum Schriftführer wurde Karl Ziegler gewählt. Ein weiteres Ausschussmitglied wurde Georg Ziegler.

Weitere Planungen, z.B. für Wanderungen oder Veranstaltungen zur Werbung neuer Mitglieder konnten vor der behördlichen Genehmigung und Eintragung des Vereins nicht angegangen werden und wurden deshalb zurückgestellt.

Darin drückte sich auch die Vorsicht und eine gewisse Zurückhaltung gegenüber den französischen Militärbehörden aus, die überall das letzte Sagen hatten. Die damaligen Ausschussmitglieder fanden das erstmals in Ordnung, wollten sie doch erst zu sich selbst und Wege finden, wie man „die Liebe zur Heimat und zu der Sache des Vereins im inneren Kern wachsen lassen konnte“, wie es Schriftführer Karl Ziegler im Protokoll ausführte.

Die offizielle Genehmigung für die OG Mehrstetten durch die französische Militärregierung erfolgte im folgenden Jahr, am 4. Juni 1948.

In einer Sitzung des Ausschusses am 27. Juni 1948 wurde die behördliche Genehmigung der OG Mehrstetten zur Kenntnis gebracht und gleichzeitig der vierteljährliche Tätigkeitsbericht bearbeitet, der den Behörden vorgelegt werden musste. Erste Wanderungen waren schon durchgeführt worden, die Schriftführer Karl Ziegler ausführlichst beschrieb, auch das Vesper auf dem Gießstein auf dem Weg zum Schloss Lichtenstein „…wo bei herrlicher Aussicht dieses (das Vesper) besonders gut schmeckte und nachträglich an die schwindelfreien Kinder sogar noch ein Nachtisch in Form von Ohrfeigen mit Flüchen und Gelächter verteilt werden konnte.“

Diese Zeit des Aufbruchs in eine neue Epoche der Albvereinsortsgruppe Mehrstetten ist nicht nur eine Geschichte des „weiter so wie damals“; die Aufschriebe vor allem von Karl Ziegler zeugen auch von internen Auseinandersetzungen und Bestrebungen einer Neufindung.                                                                                                        Besonders seine Nachforschungen über die Entwicklung der Ortsgruppe beflügelten Karl Ziegler. So hatte er herausgefunden, dass seit 1893 unter der Leitung von Pfarrer Bentel eine locker organisierte Gruppe von etwa 10 Leuten im Sinne und als Mitglieder des Albvereins tätig waren, aber eben keine eigene Ortsgruppe gründeten. Dies geschah erst 1920 mit Karl Reutter. Die Mitgliederzahlen  stiegen im Gründungsjahr schon auf 66 und bis 1923 auf 128. Die Auswirkungen der wirtschaftlichen (Inflation; Weltwirtschaftskrise) und der sich abzeichnenden politischen Entwicklungen (Nationalsozialismus) zeigten sich deutlich daran, dass ab 1924 die Mitgliederzahlen ständig sanken. Parteigebundene Organisationen machten ab der Machtergreifung 1933 durch die Nationalsozialisten allen Vereinen das Überleben immer schwerer. 1935 waren es nur noch 22 Männer und Frauen, die dem Albverein die Treue hielten. Im Jahr der Neugründung 1947 waren es noch 18. Natürlich hatte auch der Krieg seinen Tribut gefordert.

Es war jetzt eine herausfordernde Zeit, und die brauchte Ideen, die die Begeisterung vor allem auch der Jugend und jungen Erwachsenen wecken konnte.

Fortsetzung folgt

100 Jahre OG Mehrstetten Teil 4

Das inzwischen vergangene erste Jahrzehnt, das zunächst so verheißungsvoll für die junge Ortsgruppe Mehrstetten begonnen hatte, war zu Ende. Es hatte ungeahnte Höhen, aber auch gewaltige Tiefschläge mit sich gebracht. Die Inflation hatte wirtschaftlich vieles ruiniert und, kaum überwunden, schlug unerbittlich die Weltwirtschaftskrise zu. Da konnte man von Glück sagen, dass man auf dem Land lebte, wo wenigstens das zum Überleben Notwendige vorhanden war – wenn auch die Vesperrucksäcke oft nicht mehr so gut gefüllt waren. Man war auch auf dem Land damit beschäftigt, zuerst das tägliche Leben zu sichern.

So war auch beim Albverein in Mehrstetten die Mitgliederzahl stark gesunken, zu Versammlungen kamen oft keine 20 Mitglieder mehr. Hatte man sich in den Anfangsjahren noch in freiwillige Arbeiten gestürzt, z. B. beim Bau des Wanderweges zum „Mehrstetter Hauptbahnhof“ im Heutal und zur Pflege des Ehrenhains bei der Hüle, so war davon nun keine Rede mehr. Warum das so war? Darüber geben Protokolleinträge erst in späteren Jahren Auskunft. Die Gemeinde hatte den Ehrenhain an der Hüle an sich gezogen, hatte dem Albverein die ausgegebenen Gelder erstattet (leider ist nicht erwähnt, in welcher Währung – man bedenke die rasante Inflation) und im Jahre 1926 dort das heute noch existierende Ehrenmal zum Gedenken an die Gefallenen des 1. Weltkrieges errichtet.

Mag sein, dass so mancher bis dahin eifrige Mitarbeiter sich zurückzog und sich anderen Tätigkeiten zuwandte.                                                                                    Aber sicher ist: das Vereinsleben in der Ortsgruppe lief nur noch auf Sparflamme.          Aber immer wieder flackerte das Flämmchen der Begeisterung wieder auf, z. B. als der Uracher Stadtpfarrer Dr. Reinhardt einen gut besuchten Lichtbildervortrag im Rössle Saal hielt. Das war 1931, und er berichtete dabei von den dramatischen Ereignissen bei der Erstbesteigung dieses schönsten Berges der Alpen. Der Beifall wollte dann kein Ende nehmen, als er zum Abschluss seines Vortrages noch Bilder zeigte, wie er selbst mit einem Bergführer diesen Gipfel bezwungen hatte. Hier könnte durchaus der Funke auf spätere Gebirgler und Bergsteiger in der Ortsgruppe übergesprungen sein.

Eine neue Erkenntnis brachte eine Versammlung im Gasthaus Hirsch in Gundershofen im Jahr 1933: Herr Altbürgermeister Rehm aus Gundershofen, der mit der Gründung 1920 dem Albverein Mehrstetten beitrat, wurde für 25-jährige Mitgliedschaft geehrt. Es hatte sich aber herausgestellt, dass er schon seit 1902 Mitglied im Albverein war, was er durch seine Mitgliedskarte beweisen konnte – nur im Verzeichnis des Hauptvereins war er nicht zu finden, obwohl er im Besitz sämtlicher Albvereinsblätter und Wanderkarten seit diesem Jahre war. Nach Einsendung der Mitgliedskarte als Nachweis wurde ihm nun die Ehrenurkunde für 25-jährige Mitgliedschaft nachträglich überreicht, auch wenn er schon 30 Jahre Mitglied war.  Auch Oberlehrer Ostertag war wohl schon Mitglied seit 1904 und hatte bei seinen verschiedenen Dienstorten als junger Lehrer Spuren des Albvereins hinterlassen, besonders im Schwarzwald.

Wir alle wissen, dass das Jahr 1933 gewaltige politische Veränderungen in Deutsch- land brachte. Diese finden aber in den Vereinsprotokollen keinerlei Erwähnung. Lediglich an den Begleiterscheinungen kann man – sozusagen verdeckt – ablesen, dass etwas sich verändert hatte. Es wurden keine Wanderpläne mehr erarbeitet, weil erfahrungsgemäß sowieso niemand Lust hatte, mit zu wandern, die Mitgliederzahl im Verein war so tief gesunken wie noch nie. Es bedurfte schon größerer und unglaublicher Ereignisse, damit sich die Albvereinler zu gemeinsamen Unternehmungen auf- raffen konnten.

Ein solches Ereignis war am 5./6. Juli 1936 ein gewaltiger Wolkenbruch, der vor allem im Arbental gewaltiges Unheil anrichtete, der den ganzen Fahrweg hinunter ins Schandental metertief ausschwemmte. Zur Besichtigung dieses gewaltigen Naturschauspiels machte sich eine erkleckliche Zahl von Wanderern auf den Weg. Eine Wiederholung dieses Ereignisses gab es dann Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts mit ähnlichen Ergebnissen.

Der Bericht über die Wanderung zu den Hochwasserschäden vom 6./7. Juli 1936 war für lange Jahre der letzte Bericht in den Protokollbüchern. Zuvor war erstmals die Rede von der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bei einem letzten Lichtbildervortrag beim Albverein, der eine Werbeveranstaltung für den Verein sein sollte. Ein Oberreallehrer Widmann aus Tübingen sprach dabei davon, dass…“doch der Albverein derjenige Verein sei, der schon lange vor der Machtübernahme unseres Führers die Volksgemeinschaft gepflegt habe. …Es sei der Arbeiter gleich- berechtigt neben dem Unternehmer, der Bauer neben dem Städter…gestanden“                       Erst 1943 gibt es noch eine Aufzählung von Wanderungen, die allesamt Ludwig Eberhardt, Rottenführer, geführt hatte, auch noch 1944 – oft nur zu wenigen Mitwanderern.

Am 24. September 1944 endet der Eintrag mit der Feststellung: „…es musste das Wandern in weitere Entfernungen eingestellt werden wegen zu großer Fliegergefahr auf den Straßen und Eisenbahnzügen.“

1945, nach langer Pause „…durch den Krieg verursacht“ , konnte Vertrauensmann Karl Reutter die noch in der Heimat anwesenden Mitglieder zu der 25-jährigen Jubläumsversammlung einladen und 8 Mitglieder für 25 Jahre Treue zum Albverein ehren, mit dem Wunsch, dass der Krieg bald enden möge!

Es waren dies: Eberhardt Fritz, Maler; Eberhard Johannes, Bauer; Eberhardt Ludwig, Rottenführer; Götz Georg, Straßenwart; Krehl Georg, Waldmeister; Mayer Gottlieb, Hirschwirt; Reutter Lukas, Wagnermeister und Ziegler Georg, Frisör. Oberlehrer Ostertag wurde für 50 Jahre geehrt.

Mit diesem Eintrag endet nach 25 Jahren das Protokoll:

Fortsetzung folgt

 

100 Jahre OG Mehrstetten Teil 2

Teil 2

Bei der Betrachtung dieser Gründungszeit darf man nicht vergessen: der 1. Weltkrieg mit seinen mörderischen Schlachten war gerade mal 2 bis 3 Jahre vorbei, der Versailler Vertrag hatte Deutschland mit immensen Reparationsforderungen wirtschaftlich an den Rand gebracht – und die Männer und Frauen in der neu gegründeten Ortsgruppe des Albvereins fanden Zeit und Muße, um sich um ihre Heimat zu kümmern. Oder auch gerade deswegen.

Im Protokollheft aus dieser Gründerzeit beschreibt der Schriftführer in dichterisch-schwärmenden Worten die Schönheit der Heimat. Wandern und Schauen ist das höchste Ziel.

Wandern und die Heimat kennenlernen, alles in sich aufsaugen, was sich dem Auge bot, war Herzensangelegenheit. Körperliche Strapazen nahm man gerne auf sich, alles gepaart mit einem guten Teil Abenteuerlust. So machte man sich zu zweitägigen Wanderungen auf, mit einem gut gefüllten Rucksack (wegen des Vespers), aber ohne Plan und Idee, wo man denn übernachten könnte. Oft half der Zufall und auch das Vertrauen der Menschen in die Wandergruppe. So stellte bei einer dieser Mehrtageswanderungen das „Auge des Gesetzes“, der Polizeidiener in Tiergarten im Oberen Donautal seine Scheune zur Verfügung (nebst reichlich Malzkaffee am Morgen), oder man traf beim Abstieg von der Teck nach Owen einen „Landsmann“ aus Hundersingen, der in Unterlenningen verheiratet war. Kurzent- schlossen lud er die Landsleute von der Alb zu sich nach Hause ein – immerhin eine erkleckliche Zahl -, die sich seinen „Unterländer Most aus seinem 1000 – Liter- Fass“ wohl schmecken ließen.

Natürlich nahm man, wenn es sich machen ließ, die Eisenbahn für Teilstrecken in Anspruch. Man hatte schließlich mit Schriftführer Failenschmid einen versierten Eisenbahner im Verein. Aber die Strecke bei der zweitägigen Wanderung von Mehrstetten über Gruorn, Römerstein, Schopfloch, Randecker Maar, Breitenstein, Ruine Rauber, Sattelbogen zur Teck, dann nach Owen- wo man durch puren Zufall den Landsmann aus Hundersingen traf, und am anderen Tag weiter über den Hohen-Neuffen, Grabenstetten, das Fischburgtal und Trailfingen wieder nach   Mehrstetten war reine Fußarbeit.

Das war aber nicht die ganze Idee der ersten Albvereinler. Größere Projekte wurden in Angriff genommen. Der schon erwähnte Fußweg zum „Hauptbahnhof“ im Heutal war immer wieder Thema, Weg Bezeichnungen mussten angebracht werden, die Pflege und Bepflanzung der Hüle beim Hirsch (später auch der Albvereinsgarten genannt), auch die Bepflanzung der Rauen Hüle am Weg nach Bremelau und Beseitigung alter Bäume dort wurde angegangen.

Vorträge und Familienabende „mit theatralischen Aufführungen“ fanden großen Anklang. Bei einem dieser Vorträge 1922 war auf Vermittlung von Oberlehrer Freitag aus Ennabeuren der schwäbische Heimatdichter August Lämmle nach Mehrstetten gekommen.

Die Frage bleibt – und hier geben die Protokollbücher nur wenig Auskunft: Wie war das alles in dieser wirtschaftlich prekären Zeit – immerhin steckte man in der schwersten Inflation – zu stemmen?

Anfang 1922 wurde wegen der schlechten Kassenlage eine Haussammlung durch- geführt, die 822 Mark erbrachte. Eine Saalsammlung bei einer Veranstaltung erbrachte 122 Mark. Im November 1922 wurde der Ortsgruppenbeitrag (dieser wird zusätzlich zum Beitrag für den Hauptverein erhoben) auf 5 Mark (!!!) festgesetzt.

Auch wurde eine Reisekasse beschlossen, da für viele die Teilnahme an Wanderungen (z.B. mit Zugfahrten) finanziell nicht mehr möglich war.

Und plötzlich, ab Mai 1923, ist von dem so umtriebigen Albverein in Mehrstetten nichts mehr zu hören. Aber im Frühjahr 1924   meldet der Schriftführer:

„Wer glaubte, der Albverein sei tot, hat sich gründlich geirrt! Das letzte Dreivierteljahr war eine sogenannte Schlummerzeit, um jetzt zu neu gestärktem Leben zu erwachen!“

 

Fortsetzung folgt

 

 

100 Jahre OG Mehrstetten Teil 3

Teil 3
Die erste Vollversammlung der Ortsgruppe fand nach dieser „Schlummerzeit“ dann am 30. März 1924 statt. Weil es für uns fast nicht vorstellbar ist, wie schwer diese Zeit für die Menschen war, ist es wert, ein paar Sätze aus dem Protokollbuch wörtlich wieder zu geben. „Dieselbe (Anm.: die Vollversammlung) wurde durch den Vertrauensmann Karl Reutter mit der üblichen Begrüßungsansprache eröffnet;      er wies in seinem Bericht auf die schweren Folgen, welche das verflossene Jahr durch seine beispiellose Geldentwertung für unser ganzes Volk, für alle Schichten auf den verschiedenen Gebieten sich ausgewirkt hat. Besonders ausführlich berichtete er, welch schwere Folgen dadurch für unsere Ortsgruppe entstanden sind. Den größten Schaden hatten wir, weil unser Vereinsvermögen vollständig verloren gegangen ist. Die gleiche Folgeerscheinung zeigte die Mitgliederbewegung, denn die Inflationszeit kannte keine Grenzen und machte nirgends Halt.“ An dieser Stelle ist es interessant, einen kurzen Blick auf diese Inflation zu werfen. Zeitzeugen, die sich noch voll erinnern können, gibt es so gut wie nicht mehr. Wer 1920 geboren wurde, wäre heute wie unsere Ortsgruppe 100 Jahre alt….Zu dieser Geldentwertung konnte es kommen, weil zum einen der erste Weltkrieg den Staat, also das Kaiserreich, Unsummen an Geld kostete. Die Goldvorräte des Staates, die als Deckung für die Reichsmark da waren, waren schon 1916 aufgebraucht und das Reich sammelte alles Gold – Geldstücke, Schmuck, usw. – von seinen Bürgern ein. Dafür bekam man Sachen aus Eisen. Der gängige Spruch dafür war: „Gold gab ich zur Wehr, Eisen bekam ich zur Ehr“. Auch anderes Edelmetall und Halbedelmetall wurde eingesammelt. Und kaum einer entzog sich dieser vaterländischen Pflicht. Ganze Geldvermögen von Familien, die sie in Goldmark angespart hatten, gingen so verloren. Dazu muss man wissen, dass bis 1914 jeder deutsche Bürger, den Anspruch hatte, sein Papiergeld auf der Bank gegen die üblichen 20- oder 10- Mark Goldstücke umgetauscht zu bekommen. Und nicht wenige hatten so einen kleinen Goldschatz zuhause. Zum anderen verlangten die Siegermächte des ersten Weltkrieges von Deutschland Bezahlung (Reparationen) für Kriegsschäden und die Kosten ihrer Kriegsführung, und zwar in Gold oder aber in Sachleistungen. Ganze Wälder wurden für   Holzlieferungen z.B. nach Frankreich gefällt. Wo in einer Flurkarte das Wort „Franzosenhau“ auftaucht, weiß man, warum das so heißt. Getreide, Pferde, Kühe, alles wurde genommen, das Besitztum z.B. bei Bauern wurde genauestens kontrolliert. Als Deutschland in größter Not die Lieferung von Kohle einstellte, rückten französische Truppen in das Ruhrgebiet ein, um die Lieferungen sicher zu stellen. Die Folge all dieser Ereignisse war ein immer geringeres Angebot an Waren. Papiergeld war genug da, denn der Staat – die Weimarer Republik – hatte in seiner Not begonnen, immer mehr Papiergeld zu drucken, um damit seine Schulden zu tilgen. Das wenige an Waren wurde immer teurer, im Ausland gab es für das schlechte, ungedeckte Papiergeld nichts zu kaufen, die Folge war, speziell im Jahr 1923 eine galoppierende Inflation. Am Beispiel von 1 Pfund Brot lässt sich die Preisentwicklung sehr gut verfolgen:
Mitte    1914                           13 Pfennig
Mitte    1918                           26 Pfennig
Mitte    1920                        1,20 Mark
Mitte    1922                        3,50 Mark
Januar 1923                    700 Mark
Mai      1923                  1200 Mark
August 1923              100 000 Mark
Sept.    1923           2 Millionen Mark
Okt.      1923       670 Millionen Mark
Erst mit der Einführung der Rentenmark ab November 1923 gelang es, die Preisentwicklung zu stabilisieren. Dann kostete das Pfund Brot wieder normale 35 Pfennig. Das war die Entwicklung, die auch die Albvereinsortsgruppe Mehrstetten – wie alle anderen auch – in den Jahren 1920 bis 1924 durchmachte und wovon bei der Vollversammlung im März 1924 der Vertrauensmann Karl Reutter berichtete. Schwer gebeutelt, aber trotzdem voller Zuversicht, wollte sich der Verein wieder seinen Aufgaben zuwenden, ganz besonders auch der Anlage der Hüle, dem Ehrenhain für die Gefallenen des 1. Weltkrieges. Leider schweigt das Protokollbuch aber über die Errichtung des Kriegerdenkmals an dieser Stelle. Dies fand im Jahre 1926 statt. In den Jahren nach 1926 waren die Hauptbestrebungen, neue Mitglieder zu gewinnen. Mit Vorträgen, z.B. über eine mehrtägige Gebirgswanderung von 3 jungen Albvereinlern, des Heimatdichters Hans Reihing oder über den Vogelschutz versuchte man, vor allem junge Leute für den Albverein zu begeistern. Aber es wurde schwieriger, einen Wanderplan zu erstellen. Das Protokoll berichtet von einer Versammlung, dass bei der hitzigen Diskussion über den Wanderplan infolge der Gewitterschwüle an diesem Tag wohl der Durst der Versammelten etwas zu groß gewesen war und man sich nur auf eine Wanderung ins Kleine Lautertal einigen konnte. Neu im Programm waren nun Radwanderungen, die besonders im Frühling immer wieder ins Lenninger Tal oder nach Gomaringen führten, und Wanderungen zur Vogelbeobachtung. Nach 9 Jahren wurde mit großem Dank bei einer eigens einberufenen Versammlung der treue Schriftführer Otto Failenschmid nach Weilheim/Teck verabschiedet. Seine Aufgabe übernahm Ludwig Eberhardt, der seine Protokolle immer unterschrieb mit Eberhardt, Rottenführer. Ihm folgte bald darauf Fritz Eberhardt. Dass das Feuer der Begeisterung der Anfangsjahre nicht mehr so hell loderte, kann man einem Eintrag im April 1931 entnehmen: Bei einer Ausschusssitzung im Wohnzimmer des Vertrauensmannes Karl Reutter wurde beschlossen: „Auf die Aufstellung eines Wanderplanes wird verzichtet, da erfahrungsgemäß doch niemand an den Wanderungen teilnimmt. “Auf und ab im Vereinsleben – nicht nur heute. Auch schon damals.

Fortsetzung folgt.