100 Jahre OG Mehrstetten Teil 2

Teil 2

Bei der Betrachtung dieser Gründungszeit darf man nicht vergessen: der 1. Weltkrieg mit seinen mörderischen Schlachten war gerade mal 2 bis 3 Jahre vorbei, der Versailler Vertrag hatte Deutschland mit immensen Reparationsforderungen wirtschaftlich an den Rand gebracht – und die Männer und Frauen in der neu gegründeten Ortsgruppe des Albvereins fanden Zeit und Muße, um sich um ihre Heimat zu kümmern. Oder auch gerade deswegen.

Im Protokollheft aus dieser Gründerzeit beschreibt der Schriftführer in dichterisch-schwärmenden Worten die Schönheit der Heimat. Wandern und Schauen ist das höchste Ziel.

Wandern und die Heimat kennenlernen, alles in sich aufsaugen, was sich dem Auge bot, war Herzensangelegenheit. Körperliche Strapazen nahm man gerne auf sich, alles gepaart mit einem guten Teil Abenteuerlust. So machte man sich zu zweitägigen Wanderungen auf, mit einem gut gefüllten Rucksack (wegen des Vespers), aber ohne Plan und Idee, wo man denn übernachten könnte. Oft half der Zufall und auch das Vertrauen der Menschen in die Wandergruppe. So stellte bei einer dieser Mehrtageswanderungen das „Auge des Gesetzes“, der Polizeidiener in Tiergarten im Oberen Donautal seine Scheune zur Verfügung (nebst reichlich Malzkaffee am Morgen), oder man traf beim Abstieg von der Teck nach Owen einen „Landsmann“ aus Hundersingen, der in Unterlenningen verheiratet war. Kurzent- schlossen lud er die Landsleute von der Alb zu sich nach Hause ein – immerhin eine erkleckliche Zahl -, die sich seinen „Unterländer Most aus seinem 1000 – Liter- Fass“ wohl schmecken ließen.

Natürlich nahm man, wenn es sich machen ließ, die Eisenbahn für Teilstrecken in Anspruch. Man hatte schließlich mit Schriftführer Failenschmid einen versierten Eisenbahner im Verein. Aber die Strecke bei der zweitägigen Wanderung von Mehrstetten über Gruorn, Römerstein, Schopfloch, Randecker Maar, Breitenstein, Ruine Rauber, Sattelbogen zur Teck, dann nach Owen- wo man durch puren Zufall den Landsmann aus Hundersingen traf, und am anderen Tag weiter über den Hohen-Neuffen, Grabenstetten, das Fischburgtal und Trailfingen wieder nach   Mehrstetten war reine Fußarbeit.

Das war aber nicht die ganze Idee der ersten Albvereinler. Größere Projekte wurden in Angriff genommen. Der schon erwähnte Fußweg zum „Hauptbahnhof“ im Heutal war immer wieder Thema, Weg Bezeichnungen mussten angebracht werden, die Pflege und Bepflanzung der Hüle beim Hirsch (später auch der Albvereinsgarten genannt), auch die Bepflanzung der Rauen Hüle am Weg nach Bremelau und Beseitigung alter Bäume dort wurde angegangen.

Vorträge und Familienabende „mit theatralischen Aufführungen“ fanden großen Anklang. Bei einem dieser Vorträge 1922 war auf Vermittlung von Oberlehrer Freitag aus Ennabeuren der schwäbische Heimatdichter August Lämmle nach Mehrstetten gekommen.

Die Frage bleibt – und hier geben die Protokollbücher nur wenig Auskunft: Wie war das alles in dieser wirtschaftlich prekären Zeit – immerhin steckte man in der schwersten Inflation – zu stemmen?

Anfang 1922 wurde wegen der schlechten Kassenlage eine Haussammlung durch- geführt, die 822 Mark erbrachte. Eine Saalsammlung bei einer Veranstaltung erbrachte 122 Mark. Im November 1922 wurde der Ortsgruppenbeitrag (dieser wird zusätzlich zum Beitrag für den Hauptverein erhoben) auf 5 Mark (!!!) festgesetzt.

Auch wurde eine Reisekasse beschlossen, da für viele die Teilnahme an Wanderungen (z.B. mit Zugfahrten) finanziell nicht mehr möglich war.

Und plötzlich, ab Mai 1923, ist von dem so umtriebigen Albverein in Mehrstetten nichts mehr zu hören. Aber im Frühjahr 1924   meldet der Schriftführer:

„Wer glaubte, der Albverein sei tot, hat sich gründlich geirrt! Das letzte Dreivierteljahr war eine sogenannte Schlummerzeit, um jetzt zu neu gestärktem Leben zu erwachen!“

 

Fortsetzung folgt

 

 

100 Jahre OG Mehrstetten Teil 3

Teil 3
Die erste Vollversammlung der Ortsgruppe fand nach dieser „Schlummerzeit“ dann am 30. März 1924 statt. Weil es für uns fast nicht vorstellbar ist, wie schwer diese Zeit für die Menschen war, ist es wert, ein paar Sätze aus dem Protokollbuch wörtlich wieder zu geben. „Dieselbe (Anm.: die Vollversammlung) wurde durch den Vertrauensmann Karl Reutter mit der üblichen Begrüßungsansprache eröffnet;      er wies in seinem Bericht auf die schweren Folgen, welche das verflossene Jahr durch seine beispiellose Geldentwertung für unser ganzes Volk, für alle Schichten auf den verschiedenen Gebieten sich ausgewirkt hat. Besonders ausführlich berichtete er, welch schwere Folgen dadurch für unsere Ortsgruppe entstanden sind. Den größten Schaden hatten wir, weil unser Vereinsvermögen vollständig verloren gegangen ist. Die gleiche Folgeerscheinung zeigte die Mitgliederbewegung, denn die Inflationszeit kannte keine Grenzen und machte nirgends Halt.“ An dieser Stelle ist es interessant, einen kurzen Blick auf diese Inflation zu werfen. Zeitzeugen, die sich noch voll erinnern können, gibt es so gut wie nicht mehr. Wer 1920 geboren wurde, wäre heute wie unsere Ortsgruppe 100 Jahre alt….Zu dieser Geldentwertung konnte es kommen, weil zum einen der erste Weltkrieg den Staat, also das Kaiserreich, Unsummen an Geld kostete. Die Goldvorräte des Staates, die als Deckung für die Reichsmark da waren, waren schon 1916 aufgebraucht und das Reich sammelte alles Gold – Geldstücke, Schmuck, usw. – von seinen Bürgern ein. Dafür bekam man Sachen aus Eisen. Der gängige Spruch dafür war: „Gold gab ich zur Wehr, Eisen bekam ich zur Ehr“. Auch anderes Edelmetall und Halbedelmetall wurde eingesammelt. Und kaum einer entzog sich dieser vaterländischen Pflicht. Ganze Geldvermögen von Familien, die sie in Goldmark angespart hatten, gingen so verloren. Dazu muss man wissen, dass bis 1914 jeder deutsche Bürger, den Anspruch hatte, sein Papiergeld auf der Bank gegen die üblichen 20- oder 10- Mark Goldstücke umgetauscht zu bekommen. Und nicht wenige hatten so einen kleinen Goldschatz zuhause. Zum anderen verlangten die Siegermächte des ersten Weltkrieges von Deutschland Bezahlung (Reparationen) für Kriegsschäden und die Kosten ihrer Kriegsführung, und zwar in Gold oder aber in Sachleistungen. Ganze Wälder wurden für   Holzlieferungen z.B. nach Frankreich gefällt. Wo in einer Flurkarte das Wort „Franzosenhau“ auftaucht, weiß man, warum das so heißt. Getreide, Pferde, Kühe, alles wurde genommen, das Besitztum z.B. bei Bauern wurde genauestens kontrolliert. Als Deutschland in größter Not die Lieferung von Kohle einstellte, rückten französische Truppen in das Ruhrgebiet ein, um die Lieferungen sicher zu stellen. Die Folge all dieser Ereignisse war ein immer geringeres Angebot an Waren. Papiergeld war genug da, denn der Staat – die Weimarer Republik – hatte in seiner Not begonnen, immer mehr Papiergeld zu drucken, um damit seine Schulden zu tilgen. Das wenige an Waren wurde immer teurer, im Ausland gab es für das schlechte, ungedeckte Papiergeld nichts zu kaufen, die Folge war, speziell im Jahr 1923 eine galoppierende Inflation. Am Beispiel von 1 Pfund Brot lässt sich die Preisentwicklung sehr gut verfolgen:
Mitte    1914                           13 Pfennig
Mitte    1918                           26 Pfennig
Mitte    1920                        1,20 Mark
Mitte    1922                        3,50 Mark
Januar 1923                    700 Mark
Mai      1923                  1200 Mark
August 1923              100 000 Mark
Sept.    1923           2 Millionen Mark
Okt.      1923       670 Millionen Mark
Erst mit der Einführung der Rentenmark ab November 1923 gelang es, die Preisentwicklung zu stabilisieren. Dann kostete das Pfund Brot wieder normale 35 Pfennig. Das war die Entwicklung, die auch die Albvereinsortsgruppe Mehrstetten – wie alle anderen auch – in den Jahren 1920 bis 1924 durchmachte und wovon bei der Vollversammlung im März 1924 der Vertrauensmann Karl Reutter berichtete. Schwer gebeutelt, aber trotzdem voller Zuversicht, wollte sich der Verein wieder seinen Aufgaben zuwenden, ganz besonders auch der Anlage der Hüle, dem Ehrenhain für die Gefallenen des 1. Weltkrieges. Leider schweigt das Protokollbuch aber über die Errichtung des Kriegerdenkmals an dieser Stelle. Dies fand im Jahre 1926 statt. In den Jahren nach 1926 waren die Hauptbestrebungen, neue Mitglieder zu gewinnen. Mit Vorträgen, z.B. über eine mehrtägige Gebirgswanderung von 3 jungen Albvereinlern, des Heimatdichters Hans Reihing oder über den Vogelschutz versuchte man, vor allem junge Leute für den Albverein zu begeistern. Aber es wurde schwieriger, einen Wanderplan zu erstellen. Das Protokoll berichtet von einer Versammlung, dass bei der hitzigen Diskussion über den Wanderplan infolge der Gewitterschwüle an diesem Tag wohl der Durst der Versammelten etwas zu groß gewesen war und man sich nur auf eine Wanderung ins Kleine Lautertal einigen konnte. Neu im Programm waren nun Radwanderungen, die besonders im Frühling immer wieder ins Lenninger Tal oder nach Gomaringen führten, und Wanderungen zur Vogelbeobachtung. Nach 9 Jahren wurde mit großem Dank bei einer eigens einberufenen Versammlung der treue Schriftführer Otto Failenschmid nach Weilheim/Teck verabschiedet. Seine Aufgabe übernahm Ludwig Eberhardt, der seine Protokolle immer unterschrieb mit Eberhardt, Rottenführer. Ihm folgte bald darauf Fritz Eberhardt. Dass das Feuer der Begeisterung der Anfangsjahre nicht mehr so hell loderte, kann man einem Eintrag im April 1931 entnehmen: Bei einer Ausschusssitzung im Wohnzimmer des Vertrauensmannes Karl Reutter wurde beschlossen: „Auf die Aufstellung eines Wanderplanes wird verzichtet, da erfahrungsgemäß doch niemand an den Wanderungen teilnimmt. “Auf und ab im Vereinsleben – nicht nur heute. Auch schon damals.

Fortsetzung folgt.

100 Jahre OG Mehrstetten Teil 1

Die Geschichte der Albvereinsortsgruppe Mehrstetten

In den letzten 100 Jahren

Das vergangene Jahr 2020 hatte es schwer  in sich. Es war für die Albvereinsortsgruppe Mehrstetten das 100 ste Jahr der Vereinsgründung, und nachdem alle Vorbereitungen für die Jubiläumsfeiern getroffen waren, kam Corona. Allen Terminverschiebungen zum Trotz ging die Epidemie nicht vorbei. Schließlich waren sich alle Verantwortlichen einig: Wir wollen diese Feiern nicht mehr nachholen, vorbei ist vorbei. Jetzt sind wir glückliche 101 Jahre alt.

Aber informieren wollen wir unsere Mitglieder und alle Interessierten, was in den          vergangenen 100 Jahren im Albverein so los war. Deshalb werden wir über verschiedene Zeitabschnitte dieses Vereinsjahrhunderts an dieser Stelle berichten.

Schon 1888 hatten sich in Plochingen verschieden Vorsitzende von Verschönerungs- vereinen getroffen und sich in einem Verein, eben dem Schwäbischen Albverein, zusammengeschlossen. Diese „Gründungsväter“ waren an vorderster Stelle Valentin Salzmann (auch der erste Vorsitzende), Ernst Camerer und Eugen Nägele. Gedenksteine und Albvereinshäuser, z.B. der Camererstein oberhalb der Rutschenfelsen, der Salzmanngedenkstein am Randecker Maar oder das Nägelehaus auf dem Raichberg erinnern an diese Männer.

Schon bald gründeten sich vor allem im Albvorland und auf der Schwäbischen Alb Gruppen, die sich der Idee des Schwäbischen Albvereins anschlossen – die schwäbische Heimat mit ihrer wunderbaren Natur, mit ihren wunderschönen Landschaften, ihren Dörfern und Städten und ihren Bräuchen nicht nur zu erhalten, sondern auch zu pflegen und bekannt zu machen.

Diese Ideen fanden in den folgenden Jahren immer mehr Anhänger. Besonders auch in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg war vielen die Rückbesinnung auf die Heimat ein wichtiger Gedanke.

Die Gründung der Ortsgruppe Mehrstetten und die ersten 25 Jahre

Wie viele Vereine begann auch die Geschichte der AV-Ortsgruppe in einer Wirtschaft, wie das Protokollbuch berichtet:

„Am 18. Januar 1920 saßen im „Hirsch“ in Mehrstetten 7 beim Wein und lustiger Unterhaltung. Nach längerem Hin- und Her reden erwachten …Wandergefühle…“

Und es blieb nicht dabei. Es wurden gleich Nägel mit Köpfen gemacht, eine Orts- gruppe des Schwäbischen Albverein (es gab nämlich schon mehrere solche Gruppen in der näheren Umgebung) wurde gegründet. Die Gründungsmitglieder waren

Karl Reutter, Ludwig Eberhardt, Christian Kölle, Christian Schmauder, Ludwig Eberhardt (Schulzenbauer), Bärbel Mayer und Eugen Arnold.

Schon 2 Tage später wurde eine Versammlung einberufen, 28 neue Mitglieder wurden aufgenommen und Karl Reutter zum 1. Vertrauensmann gewählt.

Bis zur nächsten Versammlung war der neue Verein schon auf 65 Mitglieder angewachsen und ein erster Vereinsausschuss wurde gewählt.

Der Schriftführer Eugen Arnold versäumte nicht zu berichten, dass bei der ersten Versammlung schon 7 Mark an freiwilligen Spenden zusammenkamen um die ersten Unkosten zu decken und bei lustiger und geselliger Unterhaltung wurden die ersten Vorschläge für Unternehmung in der nächsten Zukunft gesammelt.

Großen Anklang fand der Vorschlag, einen Fußweg über Rubenhalde zum Bahnhof im Heutal anzulegen und Ausflüge, z.B. nach Zwiefalten oder nach Blaubeuren zu machen. Abmarsch nach Blaubeuren über Ingstetten, die Sontheimer Höhle, das Tiefental nach Blaubeuren war übrigens um 5 Uhr morgens. Zurück ging es mit der Bahn, ab Blaubeuren um halb sieben am Abend.

Überhaupt waren die ersten Jahre ausgefüllt mit Wanderungen, die z.B. an Himmelfahrt 1922 um halb vier Uhr morgens mit fröhlichem Gesang nach Münsingen zum dortigen Bahnhof führte um dann über Engstingen zur Nebelhöhle und zum Schloss Lichtenstein zu gelangen, das aber noch nicht geöffnet hatte. Also ging es weiter über Genkingen zum Rossberg und dem dortigen Aussichtsturm, dann zurück über Genkingen nun zur Nebelhöhle. Nach Besichtigung dieser führte der weitere Weg zum Schloss Lichtenstein mit Besichtigung, dann hinunter ins Echaztal und nach Unterhausen zum Bahnhof, um dort um halbsechs den Zug heimwärts zu erreichen. Ankunft Bahnhof Mehrstetten um 20.04 Uhr. Übrigens nahmen an dieser Wanderung 40 Männer und 35 Frauen teil!

Warum diese Schilderung der Ausflüge? Jeder darf selber darüber nachdenken, ob er in heutiger Zeit daran teilnehmen möchte.

Übrigens war der Weg zum Bahnhof Heutal über Rubenhalde fertiggestellt worden und die Ortsgruppe hatte sich zur Aufgabe gemacht, die Hüle (beim Kriegerdenkmal gegenüber dem alten Hirsch) zur Ortsverschönerung in Pflege zu übernehmen.

 

(Fortsetzung folgt)