100 Jahre OG Mehrstetten Teil 3

Teil 3
Die erste Vollversammlung der Ortsgruppe fand nach dieser „Schlummerzeit“ dann am 30. März 1924 statt. Weil es für uns fast nicht vorstellbar ist, wie schwer diese Zeit für die Menschen war, ist es wert, ein paar Sätze aus dem Protokollbuch wörtlich wieder zu geben. „Dieselbe (Anm.: die Vollversammlung) wurde durch den Vertrauensmann Karl Reutter mit der üblichen Begrüßungsansprache eröffnet;      er wies in seinem Bericht auf die schweren Folgen, welche das verflossene Jahr durch seine beispiellose Geldentwertung für unser ganzes Volk, für alle Schichten auf den verschiedenen Gebieten sich ausgewirkt hat. Besonders ausführlich berichtete er, welch schwere Folgen dadurch für unsere Ortsgruppe entstanden sind. Den größten Schaden hatten wir, weil unser Vereinsvermögen vollständig verloren gegangen ist. Die gleiche Folgeerscheinung zeigte die Mitgliederbewegung, denn die Inflationszeit kannte keine Grenzen und machte nirgends Halt.“ An dieser Stelle ist es interessant, einen kurzen Blick auf diese Inflation zu werfen. Zeitzeugen, die sich noch voll erinnern können, gibt es so gut wie nicht mehr. Wer 1920 geboren wurde, wäre heute wie unsere Ortsgruppe 100 Jahre alt….Zu dieser Geldentwertung konnte es kommen, weil zum einen der erste Weltkrieg den Staat, also das Kaiserreich, Unsummen an Geld kostete. Die Goldvorräte des Staates, die als Deckung für die Reichsmark da waren, waren schon 1916 aufgebraucht und das Reich sammelte alles Gold – Geldstücke, Schmuck, usw. – von seinen Bürgern ein. Dafür bekam man Sachen aus Eisen. Der gängige Spruch dafür war: „Gold gab ich zur Wehr, Eisen bekam ich zur Ehr“. Auch anderes Edelmetall und Halbedelmetall wurde eingesammelt. Und kaum einer entzog sich dieser vaterländischen Pflicht. Ganze Geldvermögen von Familien, die sie in Goldmark angespart hatten, gingen so verloren. Dazu muss man wissen, dass bis 1914 jeder deutsche Bürger, den Anspruch hatte, sein Papiergeld auf der Bank gegen die üblichen 20- oder 10- Mark Goldstücke umgetauscht zu bekommen. Und nicht wenige hatten so einen kleinen Goldschatz zuhause. Zum anderen verlangten die Siegermächte des ersten Weltkrieges von Deutschland Bezahlung (Reparationen) für Kriegsschäden und die Kosten ihrer Kriegsführung, und zwar in Gold oder aber in Sachleistungen. Ganze Wälder wurden für   Holzlieferungen z.B. nach Frankreich gefällt. Wo in einer Flurkarte das Wort „Franzosenhau“ auftaucht, weiß man, warum das so heißt. Getreide, Pferde, Kühe, alles wurde genommen, das Besitztum z.B. bei Bauern wurde genauestens kontrolliert. Als Deutschland in größter Not die Lieferung von Kohle einstellte, rückten französische Truppen in das Ruhrgebiet ein, um die Lieferungen sicher zu stellen. Die Folge all dieser Ereignisse war ein immer geringeres Angebot an Waren. Papiergeld war genug da, denn der Staat – die Weimarer Republik – hatte in seiner Not begonnen, immer mehr Papiergeld zu drucken, um damit seine Schulden zu tilgen. Das wenige an Waren wurde immer teurer, im Ausland gab es für das schlechte, ungedeckte Papiergeld nichts zu kaufen, die Folge war, speziell im Jahr 1923 eine galoppierende Inflation. Am Beispiel von 1 Pfund Brot lässt sich die Preisentwicklung sehr gut verfolgen:
Mitte    1914                           13 Pfennig
Mitte    1918                           26 Pfennig
Mitte    1920                        1,20 Mark
Mitte    1922                        3,50 Mark
Januar 1923                    700 Mark
Mai      1923                  1200 Mark
August 1923              100 000 Mark
Sept.    1923           2 Millionen Mark
Okt.      1923       670 Millionen Mark
Erst mit der Einführung der Rentenmark ab November 1923 gelang es, die Preisentwicklung zu stabilisieren. Dann kostete das Pfund Brot wieder normale 35 Pfennig. Das war die Entwicklung, die auch die Albvereinsortsgruppe Mehrstetten – wie alle anderen auch – in den Jahren 1920 bis 1924 durchmachte und wovon bei der Vollversammlung im März 1924 der Vertrauensmann Karl Reutter berichtete. Schwer gebeutelt, aber trotzdem voller Zuversicht, wollte sich der Verein wieder seinen Aufgaben zuwenden, ganz besonders auch der Anlage der Hüle, dem Ehrenhain für die Gefallenen des 1. Weltkrieges. Leider schweigt das Protokollbuch aber über die Errichtung des Kriegerdenkmals an dieser Stelle. Dies fand im Jahre 1926 statt. In den Jahren nach 1926 waren die Hauptbestrebungen, neue Mitglieder zu gewinnen. Mit Vorträgen, z.B. über eine mehrtägige Gebirgswanderung von 3 jungen Albvereinlern, des Heimatdichters Hans Reihing oder über den Vogelschutz versuchte man, vor allem junge Leute für den Albverein zu begeistern. Aber es wurde schwieriger, einen Wanderplan zu erstellen. Das Protokoll berichtet von einer Versammlung, dass bei der hitzigen Diskussion über den Wanderplan infolge der Gewitterschwüle an diesem Tag wohl der Durst der Versammelten etwas zu groß gewesen war und man sich nur auf eine Wanderung ins Kleine Lautertal einigen konnte. Neu im Programm waren nun Radwanderungen, die besonders im Frühling immer wieder ins Lenninger Tal oder nach Gomaringen führten, und Wanderungen zur Vogelbeobachtung. Nach 9 Jahren wurde mit großem Dank bei einer eigens einberufenen Versammlung der treue Schriftführer Otto Failenschmid nach Weilheim/Teck verabschiedet. Seine Aufgabe übernahm Ludwig Eberhardt, der seine Protokolle immer unterschrieb mit Eberhardt, Rottenführer. Ihm folgte bald darauf Fritz Eberhardt. Dass das Feuer der Begeisterung der Anfangsjahre nicht mehr so hell loderte, kann man einem Eintrag im April 1931 entnehmen: Bei einer Ausschusssitzung im Wohnzimmer des Vertrauensmannes Karl Reutter wurde beschlossen: „Auf die Aufstellung eines Wanderplanes wird verzichtet, da erfahrungsgemäß doch niemand an den Wanderungen teilnimmt. “Auf und ab im Vereinsleben – nicht nur heute. Auch schon damals.

Fortsetzung folgt.